Literatur

Aktuelle Story – Bruno Wodas Autorenseite! Wo ist das Christkind? Allerorts waren jetzt die Weihnachtskrippen aufgebaut. Hier in der Kirche stand der Stall von Bethlehem im Seitenaltar. Alle Figuren aus Holz geschnitzt, bunt bemalt und hübsch arrangiert. Aber wo war das Christuskind? Kein Knabe mit lockigem Haar, kein Kindlein auf Heu und auf Stroh. Die lobpreisende Mutter Jesu in wallendem Gewand, hielt die Hände huldvoll gen Krippe. Hirten und Schafe gab es reichlich. Der stattliche Bärtige, er sollte Joseph darstellen, blickte demutsvoll. Aber so gründlich ich suchte, kein Christuskind zu sehen. Sicher haben ein paar Lausbuben einen Streich gespielt, dachte ich. Respekt vor kirchlichen Traditionen geschweige vor der Heiligen Familie ist ihnen fremd. An den Gottesdiensten nehmen immer weniger teil. Nur zu Weihnachten füllen sich die Kirchen mit Christen, die sich wenigstens einmal im Jahr für den wieder reichlich gedeckten Gabentisch bedanken, oder einfach nur Mitläufer. Kein wirklicher Grund zur Freude für Jesus, so wie sein Geburtstag begangen wird. Ich setzte mich in die zweite Bankreihe und blickte ernüchtert, ein wenig traurig zum Altar. Ich dachte an meine Kindheit. Am Heiligen Abend gab es vor der Bescherung ein schlichtes Mahl, danach ging man zur Christmette. Zuhause unter dem Weihnachtsbaum stand die Krippe, alle Figuren waren aus Ton, alle selbst geformt. Es gab natürlich die Heilige Familie, Hirten, Schafe, einen Esel, zwei Kühe und die Heiligen Drei Könige, die zum Weihnachtsfest noch in einiger Entfernung zum Stall warten mussten, bis ihre Zeit gekommen war. Das Jesukind wurde auf etwas Watte oder ein weiches Stück Stoff gebettet. Ein lieb gewonnenes Bild, das für immer in meinem Kopf gespeichert blieb. Inzwischen hatte mich das Erwachsenwerden gelehrt, mit zerschlagenen Illusionen und Überraschungen fertig zu werden. Aber ich war schon enttäuscht, weil hier das Wichtigste, das Christkind in dieser Krippe fehlte. Da erst nahm ich die kleine Gestalt wahr, die sich neben mich in die Bankreihe gesetzt hatte. Sie rückte näher. Fast ein Kind noch, nur mit dunkler runzeliger Haut. Da erkannte ich es. Es war ein missgestalteter, erschöpfter Zwerg, sein Gesicht grau im matten Licht, das durch die schmalen Kirchenfenster fiel. Er sprach mich an: „Suchst du mich?“ Ich muss verschreckt, gar abweisend ausgesehen haben. Doch die Gestalt sagte mit ruhiger, freundlicher Stimme. „Ich bin Jesus, Gottes Sohn.“ Und weil ich wohl recht ungläubig dreinblickte, ergänzte er: „Gottes Sohn, für dich und alle Menschen gestorben, auferstanden von den Toten.“ Im Gedanken ergänzte ich: aufgefahren in den Himmel, sitzet zur Rechten Gottes. „Das eben nicht!“ Unterbrach er mich. „Um euch Menschen den rechten Weg zu weisen und von Sünden und Plagen zu befreien, reicht es nicht am Kreuz zu sterben und im Himmel rumzusitzen!“ „Aber das haben doch die Evangelisten geschrieben.“ „Ja, ja, bei Markus kann man es so nachlesen.“ „Also wo nun, im Himmel oder auf Erden, als Gott, Prophet oder Verwandlungskünstler?“, muckte ich auf. „Mir ist alle Gewalt gegeben, im Himmel und auf Erden!“ „Matthäus!“, sagte ich stolz. „Die Evangelien sind eine Erfindung der Menschen.“ „So wie Gott eine Erfindung der Menschen ist?“ „Deswegen haben andere Völker andere Götter.“ „Es gibt Euch also nicht, Gottvater, Gottsohn, geschweige denn einen Heiligen Geist?“ „Die Trinitas, die Dreifaltigkeit ist ein Konstrukt der christlichen Kirche. Fast ein Plagiat der Trias, wie sie schon die Ägypter kannten, nur ohne weibliche Komponente. Die Griechen hatten Götter für jeden Zweck, die Juden Jehova, die Moslems nennen Gott Allah, die Hindus verehren Krishna, und so weiter.“ „Was willst du damit sagen?“ „Alle Menschen wollen einen Gott, suchen ihren Sinn in Gott.“ „Und des Menschen Wille ist sein Himmelreich!“ Ich wollte zeigen, dass ich mitdachte. „Bleiben wir ernst!“ Ich gehorchte, hörte auf seine Worte. „Mein Auftrag ist auf Erden zu wirken. In Gestalt der Menschen. Gerade in den schrecklichen Situationen, in denen sie sich oft befinden. Nicht immer selbst verschuldet. Als Freund, der Trost spendet, der Freud und Leid teilt, als Helfer in Not, als Mahner, heute eben als Zwerg – jetzt gerade komm ich hier vom Markt. Ein herumirrender Liliputaner aus einem aufgelösten Zirkus wurde von einer Horde Jugendlicher verspottet. Etliche Leute, meist Christen standen dabei. Keiner sagte was, als die Jungen ihn rumschubsten. Ich gesellte mich zu ihm, als Zwerg. Wir machten beide einen Handstand, simultan. Er hob die linke, ich die rechte Hand vom Boden, so klatschten wir unsere Vorstellung ab. Einer der Zuschauer sagte ja hamm wir heut ne Zwergeninvasion? Einige lachten. Ein junges Mädchen applaudierte, dann alle. Was sie darauf sagten, hatte schon einen viel freundlicheren Zungenschlag.“ „Wie geht es nun weiter?“, wollte ich wissen. „Erst mal die Illusion eines friedfertigen, seligen Weihnachtsfestes pflegen. Dann ist wieder Alltag und noch viel zu tun.“ Das musste ich setzen lassen. Ich war erschöpft. Er schien mir ebenfalls ein wenig müde. Auf meine weiteren Fragen antwortete er immer einsilbiger. Dann begannen sich seine Falten zu glätten, er war auf Säuglingsgröße geschrumpft, blickte mich freundlich an und sagte: „Frohe Weihnacht!“, ging in Richtung Stall zu Maria und Joseph, die letzten Meter auf Händen und Füßchen krabbelnd und lies sich in die Krippe plumpsen. Ich meinte erst, ein Grinsen in seinem Gesicht zu sehen, aber es war dann doch ein zufriedenes Säuglingslächeln. Es hatte wieder alles seine Ordnung. Bruno Woda, rev. zur Weihnacht 2018